Unter „Querdenkern“ – Versuch einer teilnehmenden Beobachtung

Unter „Querdenkern“ – Versuch einer teilnehmenden Beobachtung

Am äußersten Rand der Uckermark gelegen, bietet das Dörfchen Malchow bei Göritz nur selten Anlass für mediale Erwähnungen. Wäre da nicht Pfarrer Dietz, der gerne „Coronaleugner“ und „Verharmloser“ zu seinen Kirchenabenden einlädt.

Hier traten bereits Persönlichkeiten wie Paul Brandenburg und Hans-Joachim Maaz auf und gaben dem kritischen Publikum, wonach es verlangte: Bestätigung für die feststehende Überzeugung, dass da etwas faul ist. Dass Corona und die Maßnahmen nur ein abgekartetes Spiel sind. Dass Größeres hinter all dem steckt. Dass am Ende vielleicht sogar die Juden/Reptiloiden/Romulaner mit Corona zum finalen Schlag ausholen.

Diese einleitenden Zeilen mögen absurd klingen, relativieren sich aber, wenn man beispielsweise die Texte von Hans-Joachim Maaz liest. Dieser meint, bei der Corona-Krise handele es sich eigentlich um eine „Plandemie“, hinter der ein elitärer Zirkel stecke, namentlich das Weltwirtschaftsforum in Davos, angeführt durch seinen Gründer Klaus Schwab (Quelle: „Pandemie – Panikdemie – Plandemie“).

Was passiert in Malchow?

Wer sind die Menschen, die diese Veranstaltungen besuchen? Um das herauszufinden, besuche ich sie. Immer und immer wieder. Und je mehr ich mich unter den selbsternannten „Querdenkern“ bewege, desto mehr erkenne ich, wie sie denken.

19. August 2021

An diesem verregneten Donnerstagabend kündigte sich der Münchener Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen an. In seinem aktuellen Sachbuch „Die Propaganda-Matrix“ erklärt er, dass das Mediensystem in Deutschland strukturell staatshörig sei und weniger an Aufklärung und Information der Öffentlichkeit als vielmehr an der Mehrung der eigenen Pfründe orientiert sei. Mehr noch: Die Mainstream-Medien seien schuld daran, dass die Corona-Krise diese Ausmaße erreicht hat.

Das Buch hat mich nicht überzeugt. So selektiv zitiert der Medienwissenschaftler hier, so stark verkürzt er die Autoren, die er zur Untermauerung seiner Argumentation heranzieht, dass der Professor seinen eigenen Studierenden vermutlich raten würde, ihre Thesen an Gegenargumenten zu prüfen. In der Wissenschaft ein vollkommen normales Vorgehen. In Meyens Sachbuch gibt es für Gegenargumente leider nur wenig Raum.

Niemanden vorverurteilen

Es ist leicht, Menschen vorzuverurteilen. Natürlich hatte auch ich eine Vorstellung davon, welches Klientel sich bei derartigen Veranstaltungen zusammenfindet. An diesem Donnerstagabend gilt es nun, meine Vermutung mit der Wirklichkeit abzugleichen. So viel sei vorweggenommen: Meine Sorgen sind unbegründet.

Screenshot der Telegram-Gruppe „die UM steht auf“

Screenshot der Telegram-Gruppe „die UM steht auf“

Das war keineswegs selbstverständlich. Einen Tag vor dem Kirchenabend in Malchow wurde in der einschlägigen Telegram-Gruppe „Die UM steht auf“ auf die Veranstaltung hingewiesen. In dieser Diskussionsgruppe versammeln sich QAnon-Anhänger und bekennende Neonazis erstaunlich freimütig – man fragt sich, ob sie einfach keinerlei Hemmungen mehr haben oder sich schlicht nicht bewusst sind, dass ihre Diskussionen öffentlich einsehbar sind.

Das Publikum

Obwohl ich mir sicher bin, dass weder Pfarrer Dietz noch seine Gemeindemitglieder solche Personen in ihrem Kreis begrüßen würden, zeigt es doch, in welche Richtungen das Lager der „Corona-Leugner“ anschlussfähig ist. Und diese Anschlussfähigkeit an rechtsradikale Kreise kommt nicht zufällig. Referenten wie Maaz oder Meyen reproduzieren mal mehr, mal weniger deutlich antisemitische Klischees. Kaum verwunderlich also, dass diese Veranstaltungen auch auf dem Radar von Rechtsradikalen auftauchen.

Zum Glück zeigten sich an diesem Abend keine offensichtlichen Vertreter solcher Ideen. Das knapp hundertköpfige Publikum in der Malchower Kirche macht überwiegend einen sehr bürgerlichen, geradezu harmlosen Eindruck. Ich sehe die Beobachtungen des Soziologen Oliver Nachtwey bestätigt, der die Teilnehmer an Corona-Protesten als relativ alt und akademisch einordnet (Quelle: „Politische Soziologie der Corona-Proteste“).

Unter die älteren Herren mischen sich vereinzelt auch Männer mit längeren Haaren oder Frauen mit Dreadlocks, die eher in das Setting einer Friedensdemo passen als in das eines konservativen Kirchenabends.

Pfarrer Thomas Dietz in der Kirche Malchow

Und doch will bei mir an diesem Abend zu keinem Zeitpunkt Entspannung aufkommen. Zu sehr fühle ich mich allein durch den Umstand exponiert, dass meine Begleiterin und ich die Einzigen sind, die eine Maske tragen. Zu seltsam sind die irritierten Blicke vieler Gäste. Insbesondere ein wohlbeleibter Mann starrt mich minutenlang an, als wolle er mir unmissverständlich mitteilen, dass ich hier nichts zu suchen habe.

Eines ist klar: Ich gehöre hier nicht hin. Ich bin ein Fremdkörper in den Kreisen der „Querdenker“, und sie haben mich als jemanden ausgemacht, der nicht zu ihnen gehört.

Aber ich bleibe.

Ich möchte zuhören.

Und ich möchte verstehen, was diese Menschen umtreibt.

Statt des erwarteten Vortrags entspinnt sich eine Art Gespräch zwischen dem Kirchenmann und dem Professor. Dietz stellt dabei kurze Fragen und gibt seinem Gast die Stichworte, zu denen Meyen jeweils minutenlang spricht.

Das Thema, zumindest vorgeblich, sind die Medien. Oder besser die Frage, was denn falsch läuft mit den Medien. Und wenn Michael Meyen an diesem Abend von Medien spricht, auch das macht er schnell deutlich, dann spricht er vom Mainstream, von den Öffentlich-Rechtlichen und den „Leitmedien“. Auf die sogenannten alternativen Medien träfen die Vorwürfe der „Staatshörigkeit“ und der „Käuflichkeit“ nicht zu. Zwar sei „auch bei Rubikon, Reitschuster und Konsorten nicht alles Gold, was glänzt, doch gehöre es für einen medienkompetenten Menschen heute dazu, auch diese Medienangebote zu rezipieren, allein schon, um die Aussagen aus dem Mainstream einordnen zu können“.

Die Blase, das sind die anderen

Kritik an der nachweislich tendenziösen oder desinformierenden Berichterstattung dieser Alternativmedien bleibt bei Meyen an diesem Abend wenig überraschend aus. Ganz im Gegenteil: Er wirft dem Mainstream Tendenziösität vor. Als Belege für seine Einschätzung müssen anekdotische Beobachtungen herhalten. Da wäre etwa der Fall der neuen ARD-Programmdirektorin Christine Strobl, die als Tochter des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble und Ehefrau des baden-württembergischen Innenministers Thomas Strobl eng mit der Spitzenpolitik verbunden ist. Oder die Geschichte einer thüringischen Journalistin, die sich verwundert zeigt, dass Ministerpräsident Ramelow in der Redaktion anruft, um seinen Unmut über die Berichterstattung zu äußern.

Genau anhand solcher Anekdoten wird deutlich, wie Meyens Ansatz funktioniert: Durchaus kritikwürdige Einzelfälle werden herausgegriffen, um sie als Beleg für ein gesamtes System herzunehmen. Dieser Trick zieht sich nicht nur durch den Malchower Kirchenabend, sondern auch durch Meyens Buch. Und der Trick ist effektiv, denn er funktioniert.

Effekthascherei und Selbstvergewisserung

Es geht hier nicht, das wird im Laufe des Abends immer deutlicher, um Erkenntnisgewinn. Es geht vielmehr um Selbstvergewisserung und Zugehörigkeit. Wenn Meyen seinem Publikum solche Brotkrumen verschwörungsideologischer Versatzstücke hinwirft, trennt er damit die Wissenden vom Rest – diejenigen, die verstehen, die „Erwachten“, von den „Schlafschafen“.

Die Mainzer Sozialpsychologin Pia Lamberty attestiert Meyen und seinen Texten „Anschlussfähigkeit an verschwörungsideologische Narrative“ (Quelle: Ken Jebsen als Quelle – Wie soll Wissenschaft sein?), und genau diese Anschlussfähigkeit stellt der Professor ein ums andere Mal unter Beweis.

Meyen gibt seinem Publikum das Gefühl, zu einer elitären Gruppe zu gehören – zu denen, die verstanden haben, wie das Spiel läuft. Das passt abermals gut zu seinem gutsituierten, akademischen Publikum, das wahrscheinlich ohnehin ein gewisses Überlegenheitsgefühl mit sich herumträgt. Dass sein gesamtes Ideengebäude dabei von einer pathologischen Komplexitätsreduktion geprägt ist, scheint dabei niemandem negativ aufzufallen. Außer dem Typen mit der FFP2-Maske im hinteren Teil der Kirche. Doch dieser verlässt in der Pause zunächst den Raum, um draußen etwas frische Luft zu schnappen.

Während ich draußen vor der Kirchenpforte stehe, kommen immer mehr Menschen heraus. Viele beklagen sich über die stickige Luft im Innenraum. Zur Erinnerung: Wir befinden uns am Beginn der vierten Welle, dort drinnen sitzen knapp hundert Leute, niemand trägt eine Maske, die Quote der Geimpften dürfte eher niedrig sein, gelüftet wird nicht.

Erste Nachwehen

In den Tagen nach meinem Besuch beim Gemeindeabend lässt mich das Erlebte nicht los. Dieser Text sollte zunächst eigentlich nur ein knapper Abriss über eine seltsame Veranstaltung in einer Reihe vieler ähnlich gelagerter Abende werden.

Doch schon auf der Fahrt nach Hause kommen mir weitere Fragen, die ich mir nicht beantworten kann. Ich bin nach Malchow gekommen, um Antworten zu finden. Stattdessen hat der Abend in meinem Kopf nur unzählige weitere Fragen rund um die skurrile „Querdenker“-Bewegung und die Rolle der Kirche aufgeworfen.

Ich beschließe also, weiter zu recherchieren. Und ich spreche mit Menschen, die von den seltsamen Abwegen, auf denen sich die Kirche in Malchow zu befinden scheint, deutlich stärker bewegt sein sollten, als ich es bin. Ich bin nicht religiös, ich glaube nicht an Gott, ich gehöre keiner Glaubensgemeinschaft an.

Anders als Robert (Name von der Redaktion geändert). Robert ist seit vielen Jahren Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde der Nikolaikirche in Prenzlau. Er beschreibt sich nicht als aktiven Kirchengänger, dennoch zählte er sich zur Gemeinde. Und daran hätte sich vermutlich auch nichts geändert, hätte er nicht in der Lokalpresse von den Vortragsabenden in Malchow gehört.

Diese lassen sich nicht mit seinem Bild der Kirche vereinbaren. Robert erklärt mir, er wolle nicht, dass mit der Kirchensteuer, die er zahlt, solcherlei Veranstaltungen durchgeführt werden. Die verschwörungsideologischen Veranstaltungen von Thomas Dietz haben für Robert zu einem Bruch mit seiner Kirche geführt.

Wie steht die Kirche zu den Veranstaltungen in Malchow?

Seine Beweggründe erklärt er in einem Schreiben an die evangelische Landeskirche. Statt auf seine Kritik einzugehen, erläutert eine Mitarbeiterin der EKBO lediglich den Prozess des Austritts. Die Gründe, die Robert anführt, aus der Kirche auszutreten, scheinen auf wenig Interesse zu stoßen. Ist der evangelischen Kirche diese Nähe zu den selbsternannten „Querdenkern“ also einfach egal? Superintendent Müller-Zetsche äußerte im Uckermarkkurier (Quelle: „Heftige Reaktion auf Corona-Protest des Schönfelder Pfarrers“) bereits im vergangenen Jahr seinen Unmut über die Nähe, die Pfarrer Dietz zu „Querdenken“ pflegt, und dessen Teilnahme an einer Großdemonstration in Berlin. Das war vor der Serie an Querdenker-Veranstaltungen in der Malchower Kirche.

Wie stellt sich die offizielle Position heute dar?

Ich hake bei der Landeskirche nach und frage, wie die EKBO zur Vortragsreihe in Malchow steht und ob diese in Absprache mit der Landeskirche stattfinden. Zudem erkundige ich mich nach den Hygienemaßnahmen und möglichen Sanktionsmechanismen, falls diese bei kirchlichen Veranstaltungen nicht eingehalten werden.

Eine Mitarbeiterin des Pressereferats der EKBO teilt mir mit, meine Fragen an die zuständigen Stellen weiterzuleiten. Das ist nun mehr als ein halbes Jahr her. Antworten auf meine Fragen bleibt die Landeskirche bis heute schuldig.

Pfarrer Dietz breitet die Arme aus

Ich konfrontiere auch Pfarrer Dietz mit dem Kirchenaustritt eines Prenzlauer Gemeindemitglieds und frage ihn, ob ihn solche Schritte als Reaktion auf seine Gemeindeabende nicht bekümmern würden.

Dietz positioniert sich dazu genauso wenig wie zu dem Problem, dass seine Veranstaltungen inzwischen auch in rechtsextremen Chatgruppen besprochen werden oder dass Referenten wie Hans-Joachim Maaz Anleihen an antisemitische Verschwörungsmythen wie den „Great Reset“ und die „Plandemie“ nehmen.

In seiner Antwort erklärt Dietz, dass jeder in seiner Kirche willkommen sei und dass in den Gemeinden Menschen „unterschiedlicher Couleur“ zu Gast sind. „Jeder Mensch ist ein Gottes Kind und hat das Gebet nötig, um den rechten Pfad für unser aller Miteinander zu finden. Das schließt unsere Gäste, unsere Regierung, auch Sie und mich ein“, so Thomas Dietz weiter.

Dies ließe sich womöglich als vorsichtige Kritik lesen, so als hoffe er darauf, mit seiner Arbeit Menschen auf den rechten Weg zurückführen zu können. Doch birgt diese Einladung nicht auch die Gefahr, (noch mehr) Extremisten in die Bewegung zu integrieren?

Und dann passiert es: Ein „Maßnahmen-Gegner“ hat in Idar-Oberstein in einer Tankstelle einen Verkäufer ermordet, weil dieser ihn dazu ermahnte, im Verkaufsraum eine Maske zu tragen.

23. September 2021

Nur wenige Tage später bin ich wieder in Malchow und gespannt, was Harald Walach zu dieser Bluttat sagt. Walach ist einer der Urheber der widerlegten These, dass durch Masken eine gesundheitsschädliche CO₂-Rückatmung entstehe.

Er wurde bekannt durch seine Arbeiten an pseudowissenschaftlichen Theorien, die Betreuung esoterischer Abschlussarbeiten und dadurch, dass er der evidenzbasierten Medizin ein esoterisches Gegenstück gegenüberstellt (Uni Viadrina – Hogwarts an der Oder). Man könnte darüber lachen, wäre es nicht so verdammt bitter, dass Menschen eine medizinische Behandlung ablehnen könnten, weil sie sich mit Verweis auf Ideologen wie Walach lieber auf „Fernheilung durch Quantenverschränkung“ verlassen.

Nun darf Walach in dieser Woche in der Kirche erklären, dass seine Arbeiten zur Maskenpflicht und zur Corona-Impfung aufgrund abweichender Meinungen kein Gehör fänden. Das ist offensichtlich Unsinn. Seine Arbeiten wurden zurückgezogen, weil sie methodisch keinen wissenschaftlichen Standards entsprachen. Doch diese Behauptung passt zu dem alternativen Glaubensbekenntnis der „Querdenker“, einem Glaubensbekenntnis, das eben nicht gleichberechtigt neben der Wissenschaft und der Aufklärung steht.

Mit der Bluttat von Idar-Oberstein konfrontiert, erklärt Walach salopp, dort habe „jemand die Fassung verloren“. – So wird in einer evangelischen Kirche über einen Mord gesprochen. Eigentlich undenkbar, in Malchow aber offenbar sagbar.

Und genau das ist es, was sich Thomas Dietz, der Pfarrsprengel Schönfeld und die evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg vorwerfen lassen müssen: Sie betreiben eine gefährliche Form der False Balance. Sie normalisieren antiwissenschaftliche und antidemokratische Narrative. Und sie tragen so zu einer Spaltung bei, die unserer Gesellschaft nicht guttun kann.

15. Februar 2022

Es stellt sich die Frage, welche Motivation hinter all dem steckt. Von Nachlässigkeit bei der Auswahl der Gastreferenten kann angesichts von Auftritten wie jenem von Harald Walach kaum ausgegangen werden. Es drängt sich vielmehr die Annahme auf, dass hier ein bewusstes Programm verfolgt wird.

Diese Annahme bestätigt sich, als ich im Uckermarkkurier lese („Auch Uckermärker unterstützen Initiative ‚ChristenStehenAuf‘“), dass Pfarrer Dietz einer der Erstunterzeichner eines offenen Briefs der Gruppierung „ChristenStehenAuf“ ist. Darin heißt es:

„Immer mehr Christen wollen nicht schweigen, wenn Sorgen wachsen und die Kommunikation an vielen Stellen von Angst geprägt ist. Dabei wird auch das Äußern einer abweichenden Meinung zum Risiko. Gegenpositionen zum vorherrschenden Konsens wirken auf manche gefährlich. So werden oftmals die, die andere Sichtweisen haben, mutlos. Um wenigstens ein bisschen etwas dagegen zu setzen, bieten wir hier einen Blumenstrauß unterschiedlicher Standpunkte.“ – ChristenStehenAuf

Die Behauptung, coronakritische Stimmen würden mundtot gemacht, erscheint geradezu absurd, angesichts der zahlreichen Artikel, die der Nordkurier und die Prenzlauer Redaktion des Uckermarkkuriers diesen Stimmen widmen. Insbesondere Thomas Dietz und seine Gäste erhalten in der Lokalpresse, vor allem in den Artikeln der Autorin Claudia Marsal, eine breite und unkritische Plattform.

Sind Evangelikalismus und Verschwörungsmythen zwei Seiten einer Medaille?

Unter den Erstunterzeichnerinnen und -unterzeichnern des offenen Briefes finden sich neben Dietz Missionare, radikale Abtreibungsgegner, Querfrontler und Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland (Quelle: „Ein Blick auf Christen Stehen Auf“). Ebenso taucht dort der Thüringer Pfarrer Martin Michaelis auf, der sich nicht scheute, auf einer illegalen Demonstration zu predigen (Quelle: „Hunderte bei Demo in Sonneberg – Innenminister will konsequent durchgreifen“).

Auffällig ist die Nähe zu den Evangelikalen, also jenen Gruppen innerhalb der protestantischen Kirche, die ihren Glauben als besonders stark und ihre Nähe zu Jesus Christus als besonders intensiv betrachten. Evangelikale zeichnen sich durch einen ausgeprägten Konservatismus aus und sind in den USA längst ein relevanter politischer Faktor geworden.

Charakteristisch für das Denken der Evangelikalen ist laut der Religionswissenschaftlerin Maren Freudenberg das Schwarz-Weiß-Denken: „Die Welt wird in gute und böse Mächte eingeteilt. Auf der hellen Seite stehen Gott und seine Anhänger, auf der dunklen die, die sich noch nicht zum Glauben bekehrt haben.“ (Quelle: „Evangelikale Christen – Schattierungen einer besonderen Frömmigkeit“)

Und genau in diesem Schwarz-Weiß-Denken finden sich dann auch die Schnittmengen zwischen Evangelikalismus, Verschwörungsmythen und den Gedankenkonstrukten der Neuen Rechten. In dieser Verbindung liegt die Wurzel des Irrsinns, den der Schlagersänger Xavier Naidoo in den vergangenen zwanzig Jahren propagiert hat. Und womöglich findet sich hier auch eine Erklärung für das, was in der Malchower Kirche geschieht.

Die Ideologie der Neuen Rechten, der Evangelikalen und der Verschwörungsgläubigen eint vor allem die Hierarchisierung von Ingroup und Outgroup – von Gläubigen und Ungläubigen, Wissenden und Unwissenden. Die einen sind drin, die anderen sind draußen.

2. Mai 2022

Ich bin heute draußen. Und das nicht nur metaphorisch, denn der Andrang in Malchow ist an diesem Montagabend so groß, dass nur noch Plätze auf harten Bierbänken vor dem Seiteneingang der Malchower Kirche (am Weg zum Klo im Nebengebäude) frei sind. Statt Bier wird leider nur Tee gereicht.

Zu Gast ist der wohl berühmteste Evangelikale Deutschlands – auch wenn seine Popularität wohl eher auf seinem beruflichen als auf seinem spirituellen Oeuvre gründet: Peter Hahne, ehemaliger ZDF-Moderator, schreibt seit einigen Jahren Bücher, in denen er einfache Antworten auf komplizierte Fragen liefert.

Patrick Nix (links) mit Peter Hahne in Malchow

Nachdem Pfarrer Dietz zunächst über orientierungslose Schafe predigt (kein Witz!), nimmt Hahne den Saal mit launigen Anekdoten und Sprüchen über das Gendern und „die Jugend von heute“ ein. In das zustimmende Genicke des Publikums phantasiert Hahne schließlich hinein, die Auferstehung Christi sei eine „historische Tatsache“, „Corona nur eine stärkere Grippe“, es habe „keine überlasteten Intensivstationen“ gegeben und der Nordkurier betreibe „seriösen Journalismus“. Dass all das nachweislich falsch ist, ließe sich durch eine kurze Google-Recherche leicht widerlegen. Die Zustimmung des Publikums zeigt jedoch einmal mehr, dass ich mich hier in einer Parallelgesellschaft bewege und der Referent seinem Publikum nach dem Mund redet (Quelle: „Die rechte Ecke: Der lange Abschied des Peter Hahne“).

Mir drängt sich auch bei diesem dritten Besuch in Malchow der Eindruck auf, dass man hier unter sich bleiben will. Die Zuhörenden suchen keine Auseinandersetzung mit konträren Positionen, sondern lediglich die Bestätigung dessen, was sie ohnehin schon wissen. An diesem Abend ist immer wieder von Meinungen die Rede. Meinungen sind jedoch keine Fakten – und mit genau diesen nimmt man es hier leider nicht sonderlich genau.

„Hahnebüchen“

Stattdessen holt sich Hahne seinen Beifall durch launige Anekdoten aus seinen Urlaubsreisen nach Kalifornien und Südtirol, auf denen er den Deutschen pauschal unterstellt, dass ausschließlich sie in der freien Natur Masken tragen würden. Zum Erkenntnisgewinn tragen diese Beobachtungen allerdings nur insofern bei, als dass sich mir endlich die Bedeutung des Begriffs „hahnebüchen“ erschlossen hat.

Wie schon bei meinen anderen Besuchen hier merke ich schnell, dass das Malchower Publikum durch eine diffuse Kontra-Position gegenüber einem imaginierten Mainstream geeint wird. Diese Position ist nicht immer kohärent, sie bildet aber eine Klammer, die die Anwesenden in ihrem Bewusstsein bestätigt, etwas erkannt zu haben, was der Mehrheit der Menschen da draußen angeblich verschlossen bleibt.

Da ist er also wieder, dieser eigenartige Elitismus, der die oben beschriebenen Ideologien zusammenhält. Und genau dieser Elitismus spricht auch aus jedem der Sätze Peter Hahnes.

Man könnte das, was er hier vorträgt, als selbstverliebtes Gefasel abtun. Im Lichte seiner spirituellen Verortung als Evangelikaler wirkt es jedoch anders. Hahne erklärt, er habe sein Theologie-Studium quasi nebenbei absolviert, weil er vermutlich ein besserer Christ gewesen sei als seine Kommilitonen. Später sei er auch der bessere Journalist geworden, weil er sich noch traue, die wirklich harten Fragen zu stellen. Und heute sei er ein ganz ausgezeichneter Sachbuchautor, dessen Werke in kürzester Zeit die Bestsellerlisten stürmen.

Was da aus Hahne spricht, sollte nicht mit bloßer Arroganz verwechselt werden. Hahne scheint der calvinistischen Prädestinationslehre anzuhängen, nach der sich eine Erwählung durch Gott zum ewigen Leben nach dem Tod bereits zu Lebzeiten durch ein besonders erfolgreiches Leben ankündigt. Hahne hält sich, so scheint es mir, für auserwählt – und so verwundert es nicht, dass er freimütig einräumt, keine Angst vor dem Tod zu haben, sollte er sich heute Abend mit Corona infizieren. Er wäre dann schließlich „in den Händen Jesu“.

Genau mit diesem Mindset zeigt sich dann auch, weshalb all dieser klerikale Nonsens so anschlussfähig an die rechtsextremen Telegram-Poeten ist. Auch diese sinnieren schließlich davon, dass sich durch den nahenden Bürgerkrieg zeigen werde, wer „würdig“ ist – und wer nicht.

Ob all das den Protagonisten dieser Geschichte in seiner ganzen Tragweite bewusst ist, darüber kann hier nur spekuliert werden. Vielleicht ist Hahne auch einfach nur ein populistischer Sachbuchautor, der seine Pension durch ein paar Buchverkäufe aufbessern möchte. Vielleicht freut sich Pfarrer Dietz auch einfach nur über gut gefüllte Kirchenbänke.

Nur Kritiker in Malchow

Das Problem ist, dass diese Gedanken ihren Widerhall in den Echokammern an den Rändern unserer Demokratie finden. Pfarrer Dietz sagt, er möchte Menschen in seiner Kirche zusammenbringen. Er spricht, wenn es um seine Veranstaltungen geht, von „Diskussionsabenden“. Wirkliche Diskussionen finden dort allerdings nicht statt. In Diskussionen sollten unterschiedliche Positionen miteinander ringen. In Malchow treten jedoch ausschließlich „Kritiker“ der Corona-Maßnahmen und „Verharmloser“ von Covid-19 auf. Ich befürchte, Dietz erreicht statt eines Endes der Spaltung genau das Gegenteil und trägt zu einer weiteren Verhärtung der Fronten bei. Ich hoffe, dass ich mich irre.

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